„Wir tragen keine Geier auf der Schulter“ – vom Tod und anderen Alltäglichkeiten

Von Autorin Ingrid Rupp. Armin Hofmann ist Bestatter aus Leidenschaft und hat kürzlich begonnen, seine Biografie zu schreiben. Als Prototitel wählte er: „Glücklich durch die Arbeit mit dem Tod.“ Ich frage nach: Kann man wirklich glücklich sein, wenn der Tod das alltägliche Geschäft ist?

Die fünf Worte, mit denen Armin den Beruf des Bestatters beschreiben würde, lauten: Herausforderung, Ehrlichkeit, Dankbarkeit, Schweiß und Erleichterung. Die Situation der betroffenen Familien, die einen Angehörigen verloren haben, ist häufig schockiert-gelähmt. Ich frage Armin: „Wie schaffst du es, mit den Angehörigen nicht mit zu weinen?“

Armin antwortet pragmatisch: „Ich kann sachlich bleiben, ohne kaltherzig zu werden. Ich denke, da ist es hilfreich, dass ich ein Mann bin und mir im klassischen Rollenverständnis eine gewisse Distanziertheit nicht verübelt wird.“ Er fügt hinzu: „Wichtig ist auch, dass ich mich abgrenzen und professionelle Distanz wahren kann. Ich mache mir bewusst, dass es nicht meine Trauer und nicht mein Verlust ist, den ich spüre.“

Ich selbst bin Trauerrednerin und auch mir passiert es während meiner Trauerreden auch häufiger, dass mich die Trauer der Anwesenden berührt und mitreißt. Dann reagiere ich ähnlich wie Armin: ich atme tief durch und mache mir bewusst, dass die Trauer, die ich empfinde, durch meinen Körper hindurchfließen darf. Es ist nicht meine Trauer, sondern die Gefühle der anderen springen in der Situation auf mich über. Nach wenigen Atemzügen ist der Moment auch wieder vorbei.

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Trauerrednerin Ingrid Rupp und Bestatter Armin Hofmann, Bild: Ingrid Rupp

Schwierig findet es Armin, mit der derzeitigen Corona-Situation umzugehen. Vor dem Ausbruch der Pandemie sei es kein Problem gewesen, Menschen in den Arm zu nehmen, wenn es ihnen in dem Moment half. „Manchmal,“ sagt er, „hat es geholfen, jemandem einfach nur die Hand aufzulegen.“ Das sei nun nicht mehr so einfach möglich und dadurch gehe viel Zwischenmenschlichkeit und Wärme in extremen Zuständen wie Trauer verloren.

Versorgung der Verstorbenen – früher und heute

Die hygienische Versorgung der Verstorbenen bedeutet das Waschen und die Vorbereitung der Körper, bevor sie in den Sarg gelegt werden. Armin hat dafür bei sich im Haus einen eigenen Hygieneraum.

Vor dem zweiten Weltkrieg verstarben Menschen überwiegend daheim, sie blieben oft bis zum Beerdigungstag zu Hause. Das Waschen und Ankleiden übernahmen die Angehörigen – was auch als ein erster Akt der Trauerbewältigung gesehen werden kann.

Die Trauerfamilie kümmerte sich um einen Sarg und rief beim örtlichen Schreiner an, anschließend wurde ein Fuhrwerk geordert. Am Ende kam nur noch der Pfarrer zum Friedhof. In dieser Zeit war die Sterblichkeit von Kindern und Erwachsenen viel höher als heute, damals war der Tod „normaler und alltäglicher“.

Mit dem Krieg wurde der Tod anonym. Menschen verstarben auf dem Feld und kehrten nicht mehr aus dem Krieg zurück. Die Hospizbewegung, die den Tod wieder in das Bewusstsein der Menschen holt, begann erst vor etwa 12 Jahren. Auch heute kommt es manchmal noch vor, dass Angestellte im Altersheim bitten: „Kommen Sie bitte erst nach Einbruch der Dunkelheit.“ Der Tod soll nicht gesehen werden. Doch das wird seltener.

Vom Parkettleger zum Bestatter

Armin Hofmann lernte Estrich-Boden-Parkettleger und suchte aus gesundheitlichen Gründen eine berufliche Neuorientierung. Im Bestattungswesen glaubte er die Mischung aus drei Dingen zu finden, die er suchte: Handwerk (Särge vorbereiten), Kundenkontakt (vorbereitende Trauergespräche) und Organisation. Seine Frau war zunächst wenig begeistert und musste sich erst an diesen Gedanken gewöhnen. Nach einem Praktikum in Frankfurt bei einem Bestatter wusste er: das ist mein Weg.

Er absolvierte die Ausbildung in bei der IHK in Wiesbaden, den Praxisteil in Bad Homburg und begann 2008 beim Bestattungsdienst Gehrig in Leimen zu arbeiten. Wichtig bei der Auswahl des Betriebs war ihm, dass Trauerfamilien durchgängig einen Ansprechpartner haben, daher kam nur ein kleines Bestattungshaus in Frage.

Die Totenfürsorge: Eine Frage des Vertrauens

Armin klärt mich auf, dass es eine sogenannte Toten-Fürsorgevollmacht gibt. Das ist im Prinzip das Pendant zur Vorsorgevollmacht. Ich bin verblüfft. Auch das ist in Deutschland geregelt: Üblicherweise ist es der Ehepartner, der damit betraut wird, sich um die Beerdigung zu kümmern. Streng genommen ist es ein extra Dokument, welches z. B. aus 3 Zeilen bestehen kann: Wer überträgt wem im Falle des Todes die Totenfürsorge. Am Ende steht der Satz: „Ich nehme die Totenfürsorge an“ mit Datum und Unterschrift.

Man kann ja nicht zur Urne sagen: „Erledige bitte den Abwasch.“ 
Trends im Bestattungswesen: Seebestattung und Diamanten

Armin weiß, dass es den Menschen selten egal ist, was mit ihnen nach dem Tod passiert. Der Anteil der Menschen, die ihre Vorsorge, d.h. die Planung ihrer Bestattung im Vorfeld regeln, nimmt zu: Männer wie Frauen besprechen mit ihm ihre eigene Trauerfeier, welcher Text in der Traueranzeige stehen soll, welche Lieder gespielt und welche Rede gelesen werden soll.

Sehr häufig wählen Menschen die Seebestattung aus, d.h. eine Urnenbeisetzung auf dem offenen Meer. Etwa ein Zehntel aller Bestattungen sind Seebestattungen. „Die Abschiedszeremonie wirkt dadurch romantischer“, erklärt Armin. Beliebt ist die Urnenbeisetzung auf Mallorca. Die Angehörigen können mit hinaus aufs Meer fahren und der Bestattung beiwohnen.

Noch romantischer klingt in meinen Ohren, aus der Asche eines lieben Verstorbenen einen Diamanten pressen zu lassen. Aus dem Kohlenstoff wird dabei unter 60.000 Bar und mit 1.400 Grad über 6-12 Monate oder länger ein Diamant gepresst, bzw. „wachsen gelassen“.

Armin ernüchtert mich allerdings auch in dieser Hinsicht, denn er hinterfragt die Motivation, warum man sich einen Diamanten anfertigen lassen sollte. Er vergleicht die Motivation mit der von Menschen, die eine Urne mit nach Hause nehmen wollen, was z.B. in den USA möglich ist. Armin ist der Auffassung, dahinter stehe Versuch, die Trauer für sich selbst etwas zu erleichtern. Dem Schmerz des Abschieds kann man dadurch aber leider auch nicht entgehen.

Armin veranschaulicht: „Der Abschied muss so oder so geschehen. Man kann ja nicht zur Urne sagen: ‚Erledige bitte den Abwasch.‘ Das Leben muss neugestaltet werden: als Ex-Lebenspartner, Witwe oder Witwer, oder auch als Halb- oder Vollwaise. Der Mensch ist fort und der Alltag muss ohne ihn bewältigt werden.“ Armin findet es sinnvoll, Verstorbenen ihren eigenen Raum zu geben: der Friedhof, Friedwald, die Urnenwand, das Meer. Ich pflichte ihm bei.

Armins Tipp für eine gute Bestattung

Armin Hofmanns Tipp für eine gute Beerdigung lautet: eine Handlung einbauen – etwas, das die Menschen tun können. Das kann sein: den Sarg bemalen oder beschriften, Steine beschriften und an den Sarg oder die Urne legen, Blumen ablegen. Eine Handlung holt die Trauernden aus der Lähmung und Schockstarre heraus.

Kinder sind seiner Erfahrung nach viel unbedarfter und gehen im Vergleich mit Erwachsenen unbekümmert mit dem Tod um. Er erzählt eine schöne Anekdote: Sein Sohn war 3 Jahre alt, als dessen Großtante beerdigt wurde. Als Grabbeigabe durfte jeder eine Rosen auf den Sarg ins Grab werfen. Armins Sohn zögerte, drehte sich um und fragte: „Kann die Tante noch was sehen?“ Armin verneinte. Da bückte sich der kleine Junge, hob einen Tannenzapfen vom Boden auf und warf diesen ins offene Grab. Die Rose schenkte er der Mama. „Kinder neigen zu Pragmatismus. Ich habe Kinder auf Abschiedszeremonien auch schon neben dem Sarg spielen sehen“, so Armin.

Ich bin überrascht, zu erfahren, dass Armin seine eigene Beerdigung noch nicht geplant hat. „Ich kann mich nicht entscheiden: Erd- oder Urnenbestattung? Beisetzung in aller Stille oder mit Familie und Freunden?“ Egal, wie auch immer, derzeit stehe es noch nicht an.

Ich möchte wissen, was Armins Energiequellen sind. „Meine Familie gibt mir Kraft, meine Modelleisenbahn Ablenkung und die Dankbarkeit der Angehörigen motiviert mich.“ Welches Vorurteil begegnet ihm im Alltag? Armin überrascht die Frage. „Ich kenne keine Vorurteile. Mir passiert es nur, dass Menschen oft eine Fachfrage haben, sobald sie erfahren, dass ich Bestatter bin.“ Am Ende fällt ihm dennoch ein Vorurteil ein: „Ach ja, wir tragen keine Geier auf der Schulter!“

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Zur Person: Armin Hofmann

Armin Hofmann lernte Estrichboden- und Parkettleger und suchte aus gesundheitlichen Gründen einen neuen Beruf der Handwerk und Kundenkontakt gleichermaßen vereint. Seit 2008 ist er Bestatter aus Leidenschaft und mittlerweile Inhaber des Bestattungsdienstes Gehrig in Leimen. Sein Geheimrezept zum Abschalten ist Modelleisenbahn fahren und Sachbücher lesen. Derzeit schreibt er an seiner Biografie, die spätestens zu seinem Tod fertig sein soll. Armin ist verheiratet und hat zwei Söhne, die derzeit nur als Plan B verfolgen, Bestatter zu werden und die Firma zu übernehmen.

Ingrid Rupp

Dr. Ingrid Rupp aus Heidelberg ist Biologin und interessiert sich für alles, was das Leben zu bieten hat. Sie ist selbstständig als Hochzeits- und Trauerrednerin, gibt Online-Workshops im Institut für Liebe zum Thema Liebe und Leidenschaft, mit Marlen Schneider Biographie-Workshops und ist Elevator Pitch-Trainerin. Kreatives Schreiben begleitet sie durch alle Berufszweige hinweg, auch SAP-Gründer Dietmar Hopp griff auf ihre Schreibexpertise zurück und ließ Reden von ihr schreiben. Ingrid Rupp ist verheiratet, hat zwei Kinder und akuten Homeschooling-Burnout.

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