Schlaglicht Corona (2): Eine haarige Sache

„Na, das sieht doch frisch geschnitten aus, da hinter den Ohren“ – wer hat sich in letzter Zeit nicht bei diesem lästerhaften Gedanken erwischt, etwa beim Anblick top gestylter Fußballprinzen in Großaufnahme, beim stets aufgeweckten Kollegen in der Videokonferenz oder einfach nur am Kühlregal.

Nachdem für lange Wochen fauler Sofadienst als oberste Bürgerpflicht galt, ist nun eine ungeniert zur Schau getragene Nackenmatte Ausdruck höchster Solidarität. Von Glück reden jene wenigen, die über gute Kontakte ins Friseurshandwerk verfügen. Die Wucht der allgemeinen moralischen Verurteilung vermag wohl am fein gezogenen Scheitel zu zerschellen. Aber bleibt das frisurentechnische Hippietum der großen Mehrheit wirklich ohne Folgen?

Nun genießt selbst bei reichlich uneitlen Zeitgenossen die Pflege der Haarpracht (beziehungsweise die Verwaltung ihres Schicksals) hohen Stellenwert. Dass die Frisurenfrage mehr ist als nur Haarspalterei, beweist ein Blick in die Geschichte: So errichteten die antiken Griechen Tribunale, um über das gepflegte Erscheinen der Bürgerschaft zu befinden. Zeitgleich waren in Rom geschäftstüchtige Liebesdamen an ihren besonders verlockenden Locken zu erkennen.

Es scheint also menschheitsgeschichtlich angelegt, dass das Haarwerk nicht bloß reines Privatvergnügen, sondern ein soziales Statement ist. Mit anderen Worten: Die Trimmung des Einzelnen liegt im Interesse aller.

Aus diesem Grund sollte, nach Wiedereröffnung der Frisierstuben, ein strenges Terminregiment dem Neustyling der Nation Vorschub leisten. Paarungswillige Singles zuerst, damit sie ihrem Notstand alsbald ein Ende setzen können. Die weitere Priorisierung erfolgt nach Haardichte, behördlich festgelegt in Follikel pro Zentimeter. Naturgemäß müssten Senioren demzufolge ihre lichte Pracht noch etwas länger zu Tage tragen – allerdings dürften die auch mit der Vereinbarung ihrer Impfstichtages beschäftigt sein. Dies gäbe uns allen einen echten Grund zur Vorfreude: Denn der Termin kommt bestimmt.

  

Eric Placzeck

Im Spiel liegt Freude, sagt Eric und lässt seinem Spieltrieb wann immer möglich freien Lauf. Entweder mit Worten oder auf dem Tennisplatz. Seit fast zehn Jahren lebt der Exil-Bayer in Heidelberg. Inspiration für seine Texte findet er an den verschiedensten Orten: Im Trubel unter Menschen genauso wie in der Ruhe des Waldes. Für beides bietet ihm Heidelberg eine unerschöpfliche Quelle.

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