Schlaglicht Corona (1): Wiener Walzer in der Obstauslage

Sicher ist es Ihnen auch schon aufgefallen: Corona bedroht nicht nur unsere Gesundheit, sondern sickert auch in unser Verhalten. Gut zu beobachten ist das beim Einkaufen.

Nehmen wir die Obstauslage: Früher herrschte dort ein hastiges Gedränge wie am Bierstand beim Rockkonzert. Wer zum Beispiel kurz verharrte, um sich zwischen saftigen Orangen und praktischen Mandarinen zu entscheiden, bemerkte schnell, wie sich ein listiges Händchen um seine Hüfte schlängelte, gezielt das letzte Netz abgriff und in seinem Wägelchen verschwinden ließ.

Der Einkaufskampf setzte sich fort bis zur Zielgeraden vor der Kasse: Wie von Wunderhand gezogen, nahmen die rollenden Fresskörbe plötzlich an Fahrt auf, um als Erste das kurze Ende der Schlange zu erreichen. Entschied man dieses Rennen um eine Nasenlänge für sich, war der Unmut der Nächstplatzierten bald zu spüren. Sanft aber stetig schoben sie ihre Shoppingschlitten gegen das Hinterteil.

In Zeiten der sozialen Distanz hat sich diese Einkaufskultur gewandelt: Wer nun genüsslich vor dem Obst sinniert, kann sich des höflichen und abstandswahrenden Wartens der Miteinkäufer sicher sein. Manchen lassen hinter ihren Masken mit zusammengekniffenen Augen sogar den Anflug eines Lächelns erkennen (vielleicht ist es auch der blanke Hass, wer weiß das schon). Auch die Ladenverkehrsordnung ist plötzlich höflich: Bei Gegenverkehr lässt man sich raumgreifend passieren, begleitet von einem zarten Winken mit der Flosse. An Regalkreuzungen handelt man nun den Vortritt aus, wo früher das Recht des Schnelleren galt.

Diese neue Einkaufsetikette, die natürlich ihre berechtigten Gründe hat, erinnert ein wenig an die Gepflogenheiten beim Wiener Opernball. Daher wäre es zur Untermalung doch passend, wenn ein wenig Mozart durch die Gänge klänge. Dann könnte man zum Einkauf seine Tanzschuhe anziehen, um noch flotter über die Kacheln zu gleiten – und vor der Kasse ein paar Sekunden rauszuholen.

 

Eric Placzeck

Im Spiel liegt Freude, sagt Eric und lässt seinem Spieltrieb wann immer möglich freien Lauf. Entweder mit Worten oder auf dem Tennisplatz. Seit fast zehn Jahren lebt der Exil-Bayer in Heidelberg. Inspiration für seine Texte findet er an den verschiedensten Orten: Im Trubel unter Menschen genauso wie in der Ruhe des Waldes. Für beides bietet ihm Heidelberg eine unerschöpfliche Quelle.

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