[Gesponsorter Post: Ich bedanke mich beim Theater und Orchester Heidelberg für die Einladung zu „Anatevka“. Der Artikel spiegelt selbstverständlich ausschließlich meine eigene Meinung wider. Bildquelle Titelbild: © Sebastian Bühler / Ensemble]
Die Heidelberger Schlossfestspiele sind die meistbesuchten Freilichtspiele Nordbadens. Jeden Sommer finden sie im Innenhof und in anderen Arealen des Heidelberger Schlosses statt (in diesem Jahr noch bis Ende Juli). Die Fahrt zum Schloss mit der Bergbahn ist für Ticketinhaber kostenlos. In diesem Artikel berichte ich von meinem Besuch des Musicals „Anatevka“ im Juli 2018.
Die Wolken hängen tief über dem Heidelberger Schloss an diesem Abend. Ob es tatsächlich regnen wird, weiß zu Beginn der Vorstellung niemand, auch die Wetter-Apps widersprechen sich. Nach einem extrem leckeren Vorspeisen-Dinner (die besten Bruschetta in Heidelberg gibt’s im RISTORANTE PAPI!) sind wir mit der Bergbahn entspannt aufs Schloss gefahren und haben noch ein bisschen Zeit, uns umzusehen. Begleitet werde ich heute von meiner Mutter, die zwar sehr kulturbewandert ist, aber Anatevka ebenfalls noch nicht kennt.
Die Open-Air-Location im Schlosshof ist natürlich der Knaller – vor einigen Jahren habe ich hier Carmen gesehen.
Außerdem freue ich mich über meinen Gangplatz in der 6. Reihe: freie Sicht auf die Bühne ist für Menschen unter 1,65 m nämlich alles andere als selbstverständlich.
Warum Anatevka?
Das Theater und Orchester Heidelberg sagt dazu:
Mit Songs wie »Wenn ich einmal reich wärʼ«, »Tradition« und »Ist es Liebe« bleibt »Anatevka« seit seiner Uraufführung am Broadway eines der zehn erfolgreichsten Musicals. Allein neun Tony-Awards hat es gewonnen – 1972 wurde es ausgezeichnet mit einem Special-Tony-Award für die bis dahin längste Broadway-Laufzeit. Musik, die jiddisch, russisch und nach Klezmer klingt, Tanznummern sowie die immer wieder berührende Geschichte sind der Grund für den Erfolg.“ (Theater und Orchester Heidelberg)
Meine persönliche Antwort: Ich mag Musicals mit Substanz (wie z. B. Les Misérables, Notre Dame de Paris oder Miss Saigon). Nach allem, was ich gelesen habe, trifft das auf Anatevka auch zu.
Wie war’s?
Die Vorstellung beginnt um 20:30 Uhr mit melancholischem Geigenspiel: der berühmte „Fiedler auf dem Dach“. Allerdings kommt er nicht weit: Nach wenigen Takten landet der erste Regentropfen auf meiner Hose, ein paar Sekunden später wird die Musik von einer Mitarbeiterin unterbrochen. „Das ist jetzt aber ein bisschen übertrieben“, denke ich. Aber ihre Erklärung ergibt Sinn: „Sie merken, es fängt ganz leicht an zu tröpfeln. Leider haben wir hier Instrumente auf der Bühne, die überhaupt gar kein Wasser vertragen.“
Damit hat sie natürlich Recht, soweit habe ich nicht gedacht. Die Dame fährt fort: „Damit wir ALLE weiterhin die Vorstellung genießen können, wird das Orchester jetzt die Bühne verlassen und wir machen mit einer reduzierten Fassung weiter.“
Zustimmendes Gemurmel auf den Rängen. Die offizielle Regelung sieht nämlich vor, dass die Vorstellung bei Regen auch abgebrochen oder in den Königssaal verlegt werden kann – allerdings nur für die Sitzplatzkategorien 1 und 2! Alle anderen Zuschauer hätten in diesem Fall den Heimweg antreten müssen. Das wäre wegen der paar Tropfen doch sehr schade gewesen.
Die musikalisch reduzierte Fassung besteht aus Klavier, Schlagzeug und eben dem Fiedler auf dem Dach (der bekommt einen Regenschirm). Natürlich ist ein ganzes Orchester imposanter – mir persönlich hat aber auch die Light-Version sehr gut gefallen. Aber zurück zum Stück:
Im kleinen jüdischen Dorf Anatevka schätzt man Brauchtum und Tradition. Gute Männer bringen das Geld nach Hause, Frauen und Töchter kümmern sich um Haus und Hof und Heiratsvermittlerin Jente sorgt (gegen ordentlich Provision) dafür, dass jeder Topf sein Deckelchen findet. Und wird sich in Anatevka einmal nicht an die Gepflogenheiten gehalten, kann man die Dinge immer noch so drehen, dass es schon irgendwie passt („Rabbi, was sagst du dazu??!“ „Also verbooooten ist es nicht…“). Bedroht wird die Ruhe im Dorf vom Judenhass, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts im ländlichen Osteuropa um sich greift.
Das Leben ist nicht gut in Anatevka, aber man wurschtelt sich so durch.
Das gilt auch für Milchmann Tevje, seine Frau Golde und ihre fünf Töchter, die langsam aber sicher (und nach Möglichkeit lukrativ) unter die Haube gebracht werden sollen. Zeitel, die Älteste, soll den Dorffleischer heiraten – einen betagten Witwer mit ordentlich Dukaten auf dem Konto. Zeitel aber liebt den armen Schneider Mottel, der noch nicht einmal über eine eigene Nähmaschine verfügt.
Vater Tevje hegt aber nicht nur den Traum vom sozialen Aufstieg (Song: „Wenn ich einmal reich wär…“) sondern besitzt auch ein riesiges Herz für seine Töchter. Nachdem der Ärger über den verpassten Reichtum verraucht ist, stimmt er der Hochzeit mit Mottel zu. Das rächt sich allerdings, denn auch die zweit- und die drittälteste Tochter erweisen sich nun als widerspenstig, was die Wahl ihrer Zukünftigen betrifft.
Das Stück nimmt mich von Beginn an mit. Bereits im ersten Song („Tradition“) werden die Einwohner Anatevkas vorgestellt – das ist sehr hilfreich, um in die Handlung einzusteigen. Im Folgenden wechseln sich schwungvolle Tanzmusik und nachdenklichere Stücke ab. Die jüdischen Elemente in der Musik sind klar erkennbar aber auch der typische Broadway-Sound ist vorhanden. Besonders gut gefallen mir Tevje, Jente (die Heiratsvermittlerin) und die Tänzer.
Nach 20 Minuten wird erneut unterbrochen. Wieder aus gutem Grund: Es hat nämlich aufgehört zu regnen und das Orchester kommt zurück! Lange währt die Freude leider nicht, denn während der Pause beginnt es wieder zu tröpfeln – Tendenz stärker werdend.
Doch so schnell gibt hier keiner auf. Erst gibt es schicke Regencapes für alle, dann geht es mit der reduzierten Fassung weiter.
Leider regnet es sich nun tatsächlich ein. Über Anatevka bricht die Tragödie in Form eines zerstörerischen Pogroms durch russische Christen herein – währenddessen halten die Darsteller noch tapfer durch, aber irgendwann ist klar: das war’s jetzt. Die restliche Handlung, wird uns vom sehr nassen Tevje im 2-minütigen Schnelldurchlauf erzählt. Während die Darsteller noch einmal für einen verdienten Applaus auf die Bühne kommen, stürmen die ersten Besucher schon zur Bergbahn (kleine Anmerkung: Besonders höflich und respektvoll ist das nicht!).
Fazit zu 2/3 Anatevka bei den Heidelberger Schlossfestspielen:
Auch wenn das Ende gefehlt hat – ich fand es großartig! Das ist auch gar nicht so schwer, denn ich liebe Musicals und zwar (da stehe ich voll dazu) auch die kitschigen. Aber: Anatevka ist kein genretypisches Werk, sondern ein nachdenkliches Schauspiel mit vielen Inhaltsebenen und musikalischer Begleitung. Das liegt wohl daran, dass es auf einer klassischen Romanvorlage basiert und schon allein deshalb über inhaltliche Relevanz und historischen Kontext verfügt.
Der jüdische Humor, mit seinen sprichwörtlichen Spitzfindigkeiten stellt ein zentrales Element dar und wird sehr sympathisch dargestellt. Trotzdem ist Anatevka alles andere als eine Komödie. Und wer auf ein Happy End hofft, wird eventuell enttäuscht. So wurde es mir zumindest erzählt…
Besonders gefallen hat mir, wie individuell und transparent seitens des Veranstalters mit der Wettersituation umgegangen wurde. Abgebrochen wurde die Vorstellung erst zu einem Zeitpunkt, an dem auch dem letzten Zuschauer klar war, dass auf der regenglatten Bühne nicht mehr gespielt und getanzt werden kann, ohne die Darsteller zu gefährden. Im Anschluss hatte ich nicht den Eindruck, dass irgendjemand wirklich unzufrieden nach Hause gegangen ist. Natürlich hätten auch wir den Schluss gerne gesehen – aber hey, such is life.
Wo und wann kann ich Anatevka sehen?
Für 2018 sind alle Termine ausverkauft. Aber schnell sein lohnt sich: Seit dem 10. Juli gibt es Karten für drei ausgewählte Termine bei den Schlossfestpielen 2019!
>> Zur Website des Theater und Orchester Heidelberg
Einen Trailer / Zusammenschnitt zu Anatevka bei den Schlossfestspielen in Heidelberg gibt’s übrigens hier (beim Abspielen dieses Videos werden Daten, z. B. Deine IP-Adresse an YouTube übertragen):
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